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Elke Wikidal, 29.6.2023

Der Stephansdom auf Ansichtskarten

Überragendes Bildmotiv

Die Stephanskirche als Wahrzeichen und geografischer Mittelpunkt der Stadt erwies sich von Anfang an als ideales Ansichtskartenmotiv. In der Tat wurde und wird kaum ein anderes Wiener Gebäude so häufig abgebildet, als monumentaler Solitär mit dem ikonischen gotischen Südturm oder hoch aufragend über dem Häusermeer der Stadt.

Unter den vielfältigen Außen- und Innenansichten des Domes übertraf die Schrägansicht von Südwesten alle anderen Darstellungen an Popularität und entwickelte sich zu einem Klassiker der Wiener Ansichtskartensujets. Die Kontinuität dieses Motivs vom späten 19. bis ins 21. Jahrhundert lässt sich unter anderem auch anhand des umfangreichen Kartenbestands in der Sammlung des Wien Museums anschaulich belegen.

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Bei der Ansicht von Südwest, die den Dom vom Stock-im-Eisen-Platz oder Graben aus betrachtet, vereinen sich der hohe Südturm, die Westfassade mit den beiden romanischen Türmen und der häufig mit Passant:innen und Fahrzeugen belebte Stephansplatz zu einer einprägsamen Idealansicht der Kirche. Lange vor der Herstellung der ersten Ansichtskarten reüssierte das Sujet bereits in druckgrafischen Bilderserien. Während bis ins 18. Jahrhundert bevorzugt die Frontalansicht der Südfassade abgebildet wurde, wählte Carl Schütz 1779 für die Veduten des Stephansdomes, die der Verlag Artaria in der „Sammlung von Aussichten der Residenzstadt Wien“ publizierte und erfolgreich vermarktete, bewusst auch den südwestlichen Standpunkt. Damals konnte die Kirche jedoch noch nicht freistehend betrachtet werden, sondern blieb durch einige Wohnbauten im Bereich des Stock-im-Eisen-Platzes teils verdeckt.

Erst nach der Demolierung dieser Häuserzeile Anfang des 19. Jahrhunderts öffnete sich ein neuer freier Blick auf den Dom mit dem Stephansplatz, der sich in den folgenden Jahrzehnten durch weitere bauliche Maßnahmen und die Errichtung neuer Geschäftshäuser kontinuierlich veränderte. Gleichzeitig entwickelte sich dieser Blick auf den Dom zu einem klassischen Sujet unter den Wien-Veduten, nicht zuletzt durch die bekannten Ansichten der Malerfamilie Jakob, Rudolf und Franz Alt. Insbesondere Rudolf von Alt widmete sich lebenslang der Stephanskirche und machte bereits 1832 die Südwestansicht zum Hauptblatt einer lithografierten Bilderserie sowie zum Sujet eines bekannten Ölgemäldes.

Die beliebten wie verbreiteten Aquarelle und Druckgrafiken Alts begründeten den Erfolg dieser Domansicht in den folgenden Jahrzehnten, von romantisch inszenierten Lithografien mit der schneebedeckten Kirche vor nächtlichem Himmel bis zu den Aufnahmen durch Fotografen wie August Stauda oder Oscar Kramer im späten 19. Jahrhundert.

Aufgrund des Werbesujets des Süßwarenproduzenten Josef Manner, der seit 1889 die Kirche als Markenzeichen der Firma verwendete, erlangte die Südwestansicht des Domes breite Bekanntheit und bis heute internationale Vermarktung. Mit dem Stephansdom auf den Verpackungen fungiert gleichsam jede einzelne Packung Manner-Schnitten als Wien-Werbung in der ganzen Welt.

An den Erfolg der ikonisch gewordenen Domansicht knüpften auch die Ansichtskartenverlage an, sodass es im späten 19. Jahrhundert zu einem Boom an Stephansdom-Karten kam, die in zahlreichen Drucktechniken und gestalterischen Varianten aufgelegt wurden: schlichte Schwarz-Weiß-Reproduktionen, kolorierte Lichtdrucke, Mehrfarbendrucke nach der Vorlage von Aquarellen, Autotypien oder Lithografien in kräftigen Farben, die den Himmel, vor dem sich der Dom effektvoll abhebt, stimmungsvoll inszenieren. Bilder des winterlich verschneiten Doms mit sternenklarem und mondbeschienenem Nachthimmel erfreuten sich außerordentlicher Beliebtheit, sodass das Sujet auch mehrfach für die „Halt-gegens-Licht“-Karten Anwendung fand. Für diesen Typus der Leuchtfensterkarte wurden bestimmte Teile des Bildes ausgestanzt und mit dünnerem Papier hinterlegt. Gegen eine Lichtquelle gehalten, treten die ausgesparten Stellen sehr intensiv hervor und suggerieren den Eindruck abendlicher Beleuchtung. Manchmal wurde dieser Effekt auch imitiert, wie etwa handkolorierte Lichtdrucke aus dem Verlag Ledermann belegen.

Manche Karten erhielten durch Zierrahmen mit Blütenmotiven oder Prägereliefs in Jugendstildekor besondere farbliche oder überraschende Akzente. Historische Ereignisse wie eine elektrische Beleuchtung des Doms oder die erste Messe des 20. Jahrhunderts mit dem, von einer großen Menschenmenge belebten, nächtlichen Stephansplatz fanden sich ebenso im Angebot der Ansichtskartenverlage wie die zahlreichen mit der Domansicht illustrierten Neujahrs-, Oster- und Weihnachtsgrußkarten.

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Beliebt waren auch Scherzkarten, die etwa die Stephanskirche auf den fernen Mond versetzten, der sich mit einem Fernrohr von der Erde betrachten lässt. Mit humoristischen Szenen und Texten belebte Juxkarten kombinierten klassische Wiener Typen wie Wäschermädeln, Schusterbuben oder einen fröhlich auf einem Weinfass über den Stephansplatz fliegenden Wiener Bürger mit der traditionellen Domansicht.

Auf den häufig mit „Dom- und Metropolitan-Pfarrkirche zu St. Stefan“ bezeichneten Karten wurden gelegentlich auch kurze Informationen zur Geschichte der Kirche und ihrer Baumeister ergänzt, während andere Karten in schwärmerischen Textzeilen die emotionale Beziehung der Wiener:innen zum „alten Steffel“ hervorhoben.

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In den 1920er und 1930er Jahren ging die Bandbreite an Kartenmotiven zurück und die Verlage konzentrierten sich vorwiegend auf Fotopostkarten oder in Brauntönen gehaltene Ansichten, die im damals verbreiteten Kupfertiefdruckverfahren in höheren Auflagen produziert werden konnten. Auffällig oft wurden nun neben dem Blick vom Stock-im-Eisen-Platz auch Ansichten von oben gewählt, die den Dom über den Dächern der Stadt aufragend präsentieren. Die Popularität dieses Panoramablickes gründet in der neuen Aussicht auf die Stadt, die sich mit dem ersten Wiener Hochhaus in der Herrengasse eröffnete. Als Prestigeobjekt 1931/32 errichtet, kamen dem Wohnhaus und der Vermarktung des Hochhausblickes, der sich von der verglasten Fassade der obersten Etagen auf den Stephansdom erschloss, große städtebauliche Bedeutung zu. Die in den 1940er Jahren publizierten Ansichtskartenserien wie „Verwüstetes Wien“ zeigen hingegen die Kriegszerstörungen, darunter auch den brandgeschädigten Dom mit fehlendem Dach.

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Die Karten der Nachkriegszeit setzen die Beliebtheit der Südwestansicht fort, spiegeln aber auch den Blick auf die von Wiederaufbau und Fortschritt geprägte Stadt und demonstrieren den Dom mit dem wiedererrichteten Haas-Haus und dem von Pkws und Bussen befahrenen Stephansplatz. Als weitgehend touristisches Medium für ein internationales Publikum produziert, erschienen Ansichtskarten zunehmend mit Beschriftungen in mehreren Sprachen, im 21. Jahrhundert neben Englisch und Italienisch auch Russisch, auf den Adressseiten gelegentlich sogar Japanisch oder Chinesisch.

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Obwohl im digitalen Zeitalter dem Versenden von Urlaubsgrüßen via Ansichtskarte schwindende Bedeutung zukommt, gehören die bunten Kartenständer auch gegenwärtig zur unverzichtbaren Ausstattung der Wiener Souvenirgeschäfte. Der Blick auf St. Stephan von Südwesten zählt weiterhin zu den Klassikern unter den Ansichtskartensujets und das heutige Angebot überrascht durch eine Vielzahl an kreativ inszenierten Motiven mit effektvollen Lichtstimmungen, kitschigen Glitzereffekten, goldgeprägten Schriftzügen, Cartoons und scherzhaften Beschriftungen oder durch Retroelemente wie historischen Staffagefiguren. Die traditionelle Ansicht wird gelegentlich auch verfremdet oder ironisch gebrochen, etwa durch ein überdimensionales Smartphone, dessen Display den Südturm zeigt und die heutige Form der Grußbotschaft über Selfies und Social Media der traditionellen Ansichtskarte humorvoll gegenüberstellt.

Literatur

Sándor Békési, Elke Doppler (Hg.): Wien von oben. Die Stadt auf einen Blick (Ausstellungskatalog Wien Museum), Wien 2017, S. 40.

Schöne Aussichten. Die berühmten Wien-Bilder des Verlags Artaria (Ausstellungskatalog Wien Museum), Wien 2007, S. 18f. und 58f.

Klaus Albrecht Schröder, Maria Luise Sternath (Hg.): Rudolf von Alt. 1812–1905 (Ausstellungskatalog Albertina), Wien 2005, S. 95ff.

850 Jahre St. Stephan. Symbol und Mitte in Wien, 1147–1197 (Ausstellungskatalog Historisches Museum der Stadt Wien), Wien 1997.

https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Carl_Manner (13.06.2023)

Elke Wikidal studierte Kunstgeschichte und Geschichte an der Universität Wien. Sie ist seit 2005 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Wien Museum und vorwiegend im Bereich Objektinventarisierung und Recherche in der Grafik- und Fotosammlung tätig.

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