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19.3.2021

Ilse Helbichs Wien der Zwischenkriegszeit – Teil 9

Tramway II

In dem Buch „Vineta“ erinnert sich die Schriftstellerin Ilse Helbich an ihre Kindheit in den 1920er und 1930er Jahren. Ergänzend dazu hat sie diesen neuen Text für das Wien Museum Magazin geschrieben: Über Werbesprüche in der Tramway, die nicht aus dem Kopf gehen.

Das Dahingeführt werden in der Tramway ist ein Vergnügen, und wenn man dann gar an einem lauen Frühlingstag auf der offen hinteren Plattform steht und das Boot – nein – die Tramway unter sich leicht schwanken spürt und es zieht, aber nur ein bisschen, gleiten die Häuser und gelegentlich einige hohe Bäume rechts und links vorbei, und die Häuser sehen aus, als wären sie aus leichterem Stoff als Ziegel und Holz, und alles hat dann etwas Schwebendes. Und wenn man am Strauß-Lanner-Park vorbeifährt, weht von dort ein leiser Fliederhauch herüber, aber da ist jetzt schon die sehr hohe Pappel hinter ihrem Elternhaus und jetzt ist sie gelandet und steigt aus.

Aber auch dem Fahrgast, der sich im Wageninneren auf einer der harten Holzbänke niedergelassen hat, wird Unterhaltung geboten. Denn an den Wänden hängen kleine Reklametafeln die über Jahre und Jahre immer dieselben sind. Auf einem dieser Bilder ist ein Mann in einer Art biedermeierlichen Nachtpyjama zu sehen, der auf dem Kopf eine Schlafmütze - eigentlich eine Zipfelmütze - und in der Hand eine brennende Kerze trägt. Auf seinen Filzpantoffeln schlurft er sichtlich dem stillen Örtchen zu.

Darunter ist etwas geschrieben.

Und das heißt: „Nimm Darmol und du fühlst dich wohl.“

Auf einer anderen Papptafel ist eine aus Papier ausgeschnittene Motte so kunstvoll geklebt, dass sie sich bei jedem Luftzug von ihrer Pappunterlage erhebt und bedrohlich zu flattern scheint. Das Gedicht dazu lautet: „Ja Schab was machst denn du da?“ „Ich arbeit für Vachuda.“ Die Mutter erklärt, dass Vachuda der Name einer bekannten Insektenvertilgungs-Firma sei.

Jedoch ihr Lieblingsbild trägt den Spruch: „Jedermann zum Streichen nimmt Lacke von O. Fritze, denn in Lacken steht bestimmt Fritze an der Spitze.“ Dazu zeigt ein sehr farbiges Bild einen Malerlehrling, der gerade auf einer sichtlich frisch gestrichenen Treppe ausgerutscht und hingefallen ist. Jetzt sitzt der Bub mit gespreizten Beinen da und umklammert mit einer Hand noch immer einen umgestürzten Farbeimer, aus dem glänzender Lack tropft.

Mit der Zeit begreift das Vorschulkind, dass alle diese Sprüche die es auswendig kann, in langen Schriftbändern unter den Bildern stehen; es erkennt dort die immer wiederkehrenden Buchstaben wieder und bringt schließlich das Schriftbild mit dem zusammen, was sie leise vor sich hin spricht und  dann hat sie an diesen Reklametafeln Lesen gelernt, wie wohl viele andere Wiener Kinder auch.

Und jetzt machen wir einen großen Zeitsprung.

Als aus dem Kind und dann dem Mädchen eine Studentin geworden ist steht sie nachts mit ihrer Freundin irgendwo in der Währinger Straße und beide sehen der gerade vorbeirauschenden Straßenbahn nach. Es ist die Blaue! So heißt sie, weil auf ihrem Dach vorne und hinten die Liniennummer – etwa 38 oder 39 – nicht mehr in einem weißen Kreis aufleuchtet, sondern in einem matten Blau eingefärbt ist. Also keine Hoffnung auf eine nächste Garnitur. Erst morgen, in aller Frühe, wird diese Linie ihren fahrplangemäßen Kurs wieder aufnehmen. Seufzend beginnen die beiden Studentinnen den langen Fußmarsch nach Hause.

Der Beitrag ist die erweiterte Fassung eines Textes aus dem Buch „Vineta“ von Ilse Helbich, das 2013 im Literaturverlag Droschl erschienen ist. Wir danken der Autorin und dem Verlag für die Publikationsgenehmigung. Diese Texte daraus sind bereits erschienen:
Eislaufplatz
Gassenbuben
Waschtag
Eismann
Spucknapf, Zigarrenrauch
Stadtmusiken
Der Laternenanzünder
Die Tramway

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Kommentare

monika steinbauer

DANKE war wieder sehr interessant, möcht auf ein buch hinweisen, und zwar hat
peter meissner ein ganz tolles buch > opa, erzähl mir von früher < herausgebracht,
der meister der kurzen aber prägnanten erzählung stellt einige dinge, die vielen bekannt sind vor, passt eigentlich gut zum museum oder ? alles gute weiterhin - herzliche grüße
monika steinbauer

Dieter JANIK

Zu den Sprüchen :
ES REISST DIE HOSE, DAS GEWAND
DOCH NICHT DAS BLAU ZACK GUMMIBAND !

Kurt Berthold

In der Volksschule gab es Löschblätter die von der Fa. Pfanner (oder Rauch) gesponsert worden waren. Darauf waren zwei raufende Buben abgebildet und darunter stand der Satz:
Ei wär hätte das gedacht, dass er den Großen fertig macht.
Das Wunder ist nicht rätselhaft denn er trinkt täglich Apfelsaft

Pädagogisch heute etwas zweifelhaft aber nach über 50 Jahren immer noch in Erinnerung.

Flamisch

Tic - tac ist die neue Lösung, konzentrierte Minimint in der klaren Tic-tac Box.