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Anna Jungmayr, 24.11.2022

Personenkult um Karl Lueger

Propaganda im 3/4-Takt

Karl Lueger ist allgegenwärtig, nicht nur im Stadtraum in Form von Erinnerungstafeln oder Denkmälern. Auch in der Sammlung des Wien Museums hat sich der exzessive Personenkult um den Bürgermeister gehörig niedergeschlagen. Speziell die unzähligen Ballspenden zeugen anschaulich von der Propagandamaschinerie des Bürgermeisters.

Ein häufiger Erklärungsversuch für die Masse an (meist ehrenden) Erinnerungszeichen an Lueger ist ein Verweis auf die infrastrukturellen Entwicklungen Wiens während seiner Amtszeit als Bürgermeister (1897-1910), etwa den Bau des städtischen Gaswerks oder der zweiten Hochquellwasserleitung. Verglichen mit der Erinnerung an andere Wiener Bürgermeister wirkt seine Präsenz jedoch unverhältnismäßig. Diese Problematik bestätigt auch ein Blick in die Sammlung des Wien Museums, dem materiellen Erinnerungsspeicher der Stadt: Hier finden sich knapp 4.000 Exponate mit Bezug zu Karl Lueger, etwa zehnmal mehr als zu Cajetan Felder (Bürgermeister 1868-1878), unter dem etwa die erste Hochquellwasserleitung in Wien errichtet wurde, oder zu Jakob Reumann (Bürgermeister 1919–1923), der nach dem Ersten Weltkrieg u.a. Wiens kommunales Wohnbauprogramm initiierte.

Die Gegenstände zu Karl Lueger in der Museumssammlung reichen von Fotos, Büsten, Münzen, Geburtstagswünschen und Ehrenmedaillen bis hin zu Kleindenkmälern und Möbelstücken. Sie zeugen von einem rege betriebenen und teils skurril anmutenden Personenkult sowie von Luegers Rolle als Vorreiter der politischen Propaganda. Für Lueger wurden nicht nur Lobeshymnen, Märsche und Glaubensbekenntnisse verfasst. Sein Name und sein Konterfei wurden auch über massenhaft produzierte Pfeifen, Spazierstöcke, Gläser, oder Münzen verbreitet. Hüte der „Form des Lueger-Lieblingshutes“ wurden als „Lueger-Hüte“ vermarktet, es wurde sogar „Lueger-Brot“ verkauft.

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Während Gebrauchsgegenstände, oft mit dem Ausruf „Hoch Lueger!“ versehen, als Wahlwerbung gelesen werden können, zeugen andere Objekte in der Museumssammlung davon, dass sich Luegers Abbild ebenso in Dekorations- und Erinnerungsgegenständen materialisierte – großteils verherrlichend, teilweise aber auch kritisch-satirisch. In diese Kategorie fällt etwa eine 1929 vom Museum angekaufte Lueger-Krampusfigur von Ernst Juch, der auch Karikaturen Luegers anfertigte. Eine „Scherzschaukel“, die 1941 als Geschenk eines Josef Ahorners in die Sammlung aufgenommen wurde, thematisiert die Konkurrenz zwischen dem Christlichsozialen Karl Lueger und dem Deutschnationalen Georg Heinrich Ritter von Schönerer: Die zwei Figuren gehen in einem Wippbogen ineinander über und schaukeln sich gegenseitig auf- und ab. Ein weiteres Beispiel ist ein massiver Briefbeschwerer mit Luegers Büste zur Erinnerung an die Weihe der sechs Glocken der Hietzinger Versorgungsheimkirche im August 1903, von denen eine mit dem Abbild Luegers geziert wird. Der Briefbeschwerer wurde vermutlich vom Glockengießer Georg Gößner als Geschenk für Lueger angefertigt. Wenngleich der konkrete Verwendungszusammenhang dieser Gegenstände nicht hinreichend dokumentiert wurde, sind sie Ausdruck der Allgegenwärtigkeit des Politikers.

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Fanpost für den „Führer des Christlichen Volks“

Durch den Besuch von Feierlichkeiten, seinen demonstrativen Populismus und seine oft opportunistische Förderung diverser Vereine steigerte Karl Lueger seine Popularität besonders unter Handwerker:innen, kleinen Gewerbetreibenden und diversen christlichen Organisationen. (Die zu Luegers Wirkungszeit inflationär verwendete Verweise auf die „christliche“ Identität von Organisationen – wie auch in der von Lueger gegründeten Christlichsozialen Partei – markiert dabei meist eine Abgrenzung zu Jüdinnen und Juden). Anlässlich von Wahlen, Luegers Namens-, oder runden Geburtstagen organisierten seine Unterstützer:innen Feste, übermittelten seitenweise Glückwünsche in Zeitungen und machten ihm massenhaft Geschenke, etwa Lorbeer- oder Eichenkränze, Medaillen oder Pokale. Diese drücken durch ihren Prunk Kostbarkeit aus und sind bezeichnend für das verehrende Bild Luegers, das seine Anhänger:innen maßgeblich mitprägten.

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Viele Geschenke bekam Lueger von Frauen, insbesondere vom 1897 gegründetem Christlichen Frauenbund. Die sozialdemokratische Monatsschrift „Die Frau“ beschrieb deren zentrale Rolle in Luegers Wahlkampf retrospektiv im Juli 1932: „Für Dr. Lueger stürzten sich die Frauen mit ungehemmter Leidenschaft in die Wahlagitation, […] ihn feierten sie wie einen Gott und neuen Erlöser. Es war die Zeit um 1897, wo nach dem Wahlsieg der christlichsozialen Partei in Wien der Führer eine Rede hielt, in welcher er den Frauen dankte und hervorhob, daß [sic!] die christlichsoziale Partei vor allem den Frauen ihren Sieg verdankt, obwohl die Frauen kein Stimmrecht hatten.“

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Bei vielen Gegenständen in der Museumssammlung fällt auf, dass sie Lueger bereits vor seinem Amtsantritt als Bürgermeister im April 1897 geschenkt wurden. Sein Image als „Volkskaiser“, „Führer des Christlichen Volks“ oder „Mann des Kampfes um unser heiliges Recht“ erlangte er also nicht aufgrund seiner kommunalpolitischen Errungenschaften, sondern dieses wurde bereits zuvor geprägt – insbesondere ab 1895, nachdem ihm Kaiser Franz Josef den Antritt des Bürgermeisteramtes trotz gewonnener Wahlen mehrfach aufgrund seines Antisemitismus verwehrt hatte.

Tanzen für Karl Lueger

Eine beliebte Gelegenheit, der Unterstützung Luegers Ausdruck zu verleihen, bot der Besuch von Ballveranstaltungen im Fasching – im Wien der Jahrhundertwende zentrale Ereignisse des gesellschaftlichen Lebens. Lueger, der Bälle zur Inszenierung und Vernetzung nutzte, dienten sie zunächst auch als Wahlveranstaltungen. Bereits ab Beginn der 1890er Jahre organisierten seine Anhänger:innen Tanzveranstaltungen, die ihm explizit gewidmet waren.

Wer besuchte diese Tanzveranstaltungen? Das deutschnationale Deutsche Volksblatt, ein wichtiges Organ der antisemitischen Bewegung, berichtete am 24. Februar 1892 über drei „christliche Bälle“: „Es gibt doch noch Antisemiten in den Wiener Ballsälen.“ Insbesondere das Lueger-Kränzchen des politischen Vereins „Eintracht“ erntete Lob: „das volksthümlichste [sic!] Faschingsfest in Wien, übertraf alle anderen Ballvergnügungen der Reichshaupt- und Residenzstadt“. Das Gelingen des „wahrhaft christliche[n] Fest[s]“ wurde mitunter darauf zurückgeführt, dass die vorherrschende „Harmonie der Denkungsart […] nie gestört [wurde], denn kein einziger Jude war am Feste zugegen.“

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Der Ausschluss von Juden und Jüdinnen auf Ballveranstaltungen ist auch Thema eines Artikels im Kikeriki am 30.1.1898. Dass das „Lueger-Kränzchen“ in dieser ersten Ballsaison mit Karl Lueger als Bürgermeister schlechter als in den Vorjahren besucht war, wurde auf den „erfreulichen Umstand“ zurückgeführt, dass es „früher ein Vereinigungspunkt aller Antisemiten Wiens ohne Rücksicht auf sociale [sic!] Position oder Wohnbezirk war, gegenwärtig und in Folge der kolossalen Ausbreitung der antisemitischen Partie, die ja die officiell [sic!] herrschende geworden ist, bloß ein Bezirksball eben nur des politischen Vereines ‚Eintracht‘ geworden ist.“ Im selben Artikel wurde der Ball der Stadt Wien dafür kritisiert, dass dieser Jüdinnen und Juden nicht vollständig ausschloss, der Ball des Christlichen Frauenbundes hingegen dafür gelobt „alle antisemitischen Elemente vereinig[t]“ zu haben.

Doch nicht nur Lueger gewidmete Tanzveranstaltungen, sondern auch Bürgerbälle oder der Ball der Stadt Wien dienten Lueger als Repräsentationsräume in seiner Funktion als Bürgermeister. Die überaus populären und raffiniert gefertigten Ballspenden, die Frauen zu Beginn eines Balles als Geschenk überreicht wurden, um in der darin enthaltenen Tanzkarte ihre Tanzpartner einzutragen, wurden zur propagandistischen Verbreitung von Luegers Abbild genutzt. Eine solche personifizierte Ehre kam sonst in der Regel nur dem Kaiser zu.

Einige Ballspenden griffen auch auf Bilder der städtebaulichen Errungenschaften unter Lueger zurück, zumeist in Kombination mit seinem Abbild, um sein positives Image zu festigen. Die Damenspende des Balls der Stadt Wien zeigte 1902 etwa ein Bild der Zweiten Wiener Hochquellwasserleitung. Auf den Damenspenden des Landstraßner Bürgerballs war 1898 ein Bild der städtischen Gaswerke zu sehen, 1899 wurde die Elektrische Straßenbahn aufgegriffen.

Erinnerungszimmer für Lueger

Die Verehrung Luegers durch seine Anhänger:innen ging über die Zeit seines Lebens hinaus. Karl Luegers Tod war ein Massenevent:  Als am 10. März 1910 publik wurde, dass der Bürgermeister kurz nach 20 Uhr in seinem Zimmer im Rathaus den „Todeskampf“ verloren hatte, pilgerten Tausende Menschen – ausgestattet mit Blumenkränzen und Trauerbekundungen – zum Rathaus, um einen Blick auf den aufgebahrten Bürgermeister zu erhaschen.

Bereits am 11. März wurde seine Wohnung im Rathaus zum Erinnerungsraum. Journalist:innen war der Zutritt des Zimmers ab 12:00 Uhr gestattet. Tageszeitungen berichteten über die Vorhaben des Stadtrats für das Kunstreferat, Hans Arnold Schwer, Lueger in Erinnerung zu behalten. Neben der Errichtung eines Lueger-Denkmals vor dem Rathaus oder der Benennung des neuen Stadtteils Schmelz als „Lueger-Stadt“ fiel darunter auch die Einrichtung eines Lueger-Zimmers im von Lueger geplanten Museum der Stadt Wien. Obwohl dem Antrag stattgegeben wurde, wurden die Pläne nicht bzw. das Denkmal erst 1926 am Stubenring realisiert.

Die Schwestern Luegers schenkten dem Museum die gesamte Einrichtung der von ihm bewohnten Räumlichkeiten im Rathaus. Zur Realisierung eines Lueger-Zimmers im Museum der Stadt Wien kam es aber nie. Zunächst blieben die Gegenstände im Depot, 1932 wurde im Magistratischen Bezirksamt Wieden temporär ein Lueger-Zimmer eingerichtet, 1938 wurden die Möbel für eine Lueger-Ausstellung in der Bürgermeisterwohnung im Rathaus aufgestellt, ein Jahr später wieder in das Sammlungsdepot verbracht – hier befinden sich viele der Gegenstände bis heute zur langfristigen Verwahrung.

Luegers Nachleben im Museum

Dass Kleidungsstücke, persönliche Gegenstände sowie die gesamte Wohneinrichtung (inklusive Papierkorb und Uringefäß) des ehemaligen Bürgermeisters musealisiert wurden, erweckt mitunter den Eindruck einer Fetischsammlung. Das Sammeln etwa von leeren Notizblöcken oder Briefpapierbögen, aber auch von Möbelstücken in sehr schlechtem Zustand entsprach im Allgemeinen nicht der Praxis des Bürgerlichen Museums um 1900, welches vielmehr materiell wertvolle Gegenstände in seine Sammlungen aufnahm. Offensichtlich wurde den Objekten aufgrund der Nutzung durch Lueger eine besondere Aura zugeschrieben, wodurch er mystifiziert und ins Sakrale gerückt wurde. Lueger sollte in allen Facetten am Leben erhalten bleiben – so auch im Stadion der Krankheit kurz vor seinem Tod. Davon zeugen Zeichnungen von Lueger, die an seinem Totenbett angefertigt wurden oder seine Totenmaske. 1918 schenkte Friedrich Leitner, Inhaber einer Firma für chirurgische Instrumente, den Städtischen Sammlungen ein Stethoskop mit folgender Widmung: „Mit diesem Stethoskop wurde das Hinscheiden Sr. Excellenz Dr. Karl Lueger's konstatiert, am 10. März 1910, 8 Uhr 5 Min. abends“.

Um den von Lueger gewollten und durch seine Unterstützer:innen gefestigten Personenkult nicht zu verstärkten, bedurfte und bedarf es im Wien Museum eines kritischen Umgangs mit den Gegenständen, die von und für Lueger hinterlassen wurden.

Wie hartnäckig sich Relikte des Personenkults halten können, zeigt eine „Lueger-Ecke“ im Bezirksmuseum Wieden: Auf Initiative des Museumsleiters Philipp Maurer wurde sie erst kürzlich mit einer Intervention (von Studierenden der Universität Wien in Kooperation mit der Stabstelle Bezirksmuseen im Wien Museum) unter dem Titel „Achtung, Personenkult!“ erstmals kontextualisiert.

Mehr zum Thema im Wien Museum Magazin:

Historikerin Heidemarie Uhl im Interview über das Lueger-Denkmal

Victoria Borochov und Sashi Turkof von den Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen im Interview über das Lueger-Denkmal

Historiker Oliver Rathkolb im Interview über das Lueger-Denkmal

Historiker Dirk Rupnow im Interview über das Lueger-Denkmal

Andreas Nierhaus: Christlichsozialer Personenkult im Roten Wien. Das Lueger-Denkmal von Josef Müllner 

Andreas Nierhaus: Mischwesen, Helden, Machtmenschen. Der Bildhauer Josef Müllner

Werner Schwarz: Zur Bilanz Karl Luegers. Ein Interview. Teil 1 & Teil 2

Elisabeth Heimann: Wortgewalt und Bildermacht. 175. Geburtstag von Karl Lueger 

 

Literatur und Quellen:

John W. Boyer: Karl Lueger (1844-1910): Christlichsoziale Politik als Beruf: Eine Biografie, Wien 2011.
Harald D. Gröller, Die vielen Facetten des Personenkults um Karl Lueger, 2013, online unter https://luegerplatz.com/personenkult.html.
Elisabeth Heimann: Die (Selbst-)Inszenierung Karl Luegers und die Rezeption nach 1910, Wien 2015.
Beilage zu Kikeriki, 29.12.1895, ANNO/ONB
Deutsches-Volksblatt, 15.11.1896, ANNO/ONB.
Neues Wiener Tagblatt, 18.10.1910, ANNO/ONB.

Anna Jungmayr, Studium der Kultur- und Sozialanthropologie und Geschichte, seit 2020 Curatorial Fellow an der Stabstelle Bezirksmuseen im Wien Museum. Themenschwerpunkte: österreichische Zeitgeschichte und Vergangenheitspolitik seit 1945, gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse sowie Frauen- und Geschlechtergeschichte.

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