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Victoria Borochov und Sashi Turkof über das Lueger-Denkmal
„Das Problem an Lueger ist seine Präsenz“
Im November 2021 beschloss die Stadt Wien eine „künstlerische Kontextualisierung“ des Lueger-Denkmals bis 2023. Wie bewerten Sie den Status quo?
Die Entscheidung der Stadt, eine künstlerische Kontextualisierung des Denkmals auszuschreiben, ist schwierig für alle, die für eine Weggestaltung oder Dekonstruktion des Denkmals sind. Der Beschluss ist außerdem abstrakt, denn künstlerische Kontextualisierung kann alles, aber auch gar nichts sein. Als Vertreter:innen der Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen haben wir klar gesagt, was uns wichtig ist: Der ehrende Charakter des Denkmals muss weg! [Das Denkmal heißt auch offiziell „Ehrenmal“; Anm. d. Red.] Das geht erst, wenn die Statue von Karl Lueger nicht mehr da ist.
Darüber hinaus geht es bei der Ausschreibung nur um das Denkmal, nicht um die Umbenennung des Platzes. Die wird gar nicht erwähnt. Der Platz wird weiterhin Dr.-Karl-Lueger-Platz heißen.
Die Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen (JöH) spielen in der Debatte eine zentrale Rolle. Welchen Stellenwert hat Geschichtspolitik in Ihren Tätigkeiten?
Die Hauptaufgabe der JöH ist, einen Safe Space für junges jüdisches Leben zu gestalten. Zugleich sind wir die politische Stimme von jungen Jüdinnen und Juden. Wir kämpfen gegen Antisemitismus, sei es an der Uni, im Parlament oder in der österreichischen Erinnerungskultur. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik spielen bei uns eine wichtige Rolle, denn das öffentliche Gedächtnis hat viel damit zu tun, wie Jüdinnen und Juden heute ihre Lebensrealitäten definieren können. Auf welche Weise wir uns heute als Teil von Wien und Österreich verstehen, steht damit in Zusammenhang, wie Österreich seine Geschichte aufarbeitet oder eben nicht. Und welchen Platz Jüdinnen und Juden darin haben. Der Umgang mit Karl Lueger ist genau aus diesem Grund ein so wichtiges Thema. Denn er ist ein erinnerungskulturelles Problem.
Können Sie das konkretisieren?
Über den Nationalsozialismus wird viel gesprochen, vor allem im Schulunterricht. Juden und Jüdinnen in Österreich sind meist im Zusammenhang mit der Shoah sichtbar. Aber über die weniger eindeutigen oder ambivalenten Geschichten spricht man nicht. Man ist in Österreich schließlich selbst etwas ambivalent. Genau diese Ambivalenz ist ein sehr schwieriger Aspekt an Lueger.
Ein Problem an Lueger ist auch seine Präsenz. Denkmal und Platz sind nicht irgendwo in einem Außenbezirk, sondern im Herzen Wiens. Viele Leute gehen täglich daran vorbei, und zudem ist das Denkmal ein Sammelort und Identifikationspunkt für Rechtsextreme. Allein das wäre schon ein Grund, diese Statue zu entfernen. Es ist immer ein Schlag ins Gesicht. Das haben jüngst auch die Shoah-Überlebenden Evelyn Torton Beck, Elazar Benyoëtz, Riane Eisler, Zvi Jagendorf, Eric Kandel, Kurt Rosenkranz, Lore Segal, Fred Terna und Georg Stefan Troller in einem offenen Brief in der Süddeutschen Zeitung unterstrichen.
Gerade wenn man daran denkt, wo das Mahnmal für die Opfer der Shoah ist. Es ist richtig und wichtig, dass es diesen Gedenkort gibt. Es gab davor keinen, was – wenn man genauer darüber nachdenkt - verrückt ist. Aber der Frankhplatz ist eine tote Ecke, ein Ort, an dem nur wenige Menschen vorbeigehen oder verweilen. Das Lueger-Denkmal ist mit seinem Aufstellungsort am Ring hingegen sehr zentral und präsent im Stadtbild. Hinsichtlich der Rolle des Lueger-Denkmals für Antisemitismus heute sollte man sich die Frage stellen: Wem geben wir Raum? Derzeit ist der Platz für einen Antisemiten viel größer und zentraler als der Platz für das Gedenken gegen Antisemitismus.
Stichwort Platz: Im Frühsommer fand am Luegerplatz jeden Montag die Veranstaltung „Platz da“ statt. Ihr Ziel war die sofortige Umbenennung des Dr.-Karl-Lueger-Platzes. Sie waren Mitveranstalter:innen. Wie kam es dazu?
Gemeinsam mit der Universität für Angewandte Kunst und der Gruppe Schandwache haben wir beschlossen, weiter Druck zu machen. Die Umbenennung des Dr.-Karl-Lueger-Platzes wurde bisher nur wenig thematisiert. Deshalb stellen wir uns jeden Montag öffentlich die Frage: Wen ehren? Die Frage wurde in Form von literarischen Texten und persönlichen Statements direkt am Platz verlesen. Wir haben somit jeden Montag laut daran erinnert, wer hier geehrt wird. Nach der Sommerpause geht es vermutlich weiter.
In dem von Gerhild Steinbuch zusammengestellten Text, der bei jeder „Platz da“-Veranstaltung verlesen wurde, kam auch die Zusatztafel des derzeitigen Straßenschilds zur Sprache. Wie stehen Sie dazu?
Die Zusatztafel ist das Ergebnis einer Historiker:innenkommission, die 2013 umstrittene Straßennamen ausgewertet hat. Insgesamt waren 28 Straßennamen höchstproblematisch, benannt nach Nationalsozialisten, Antisemiten und Faschisten. Sie wurden aber nicht geändert, sondern kontextualisiert. Eine einzige Zusatztafel soll die ganze Straße bzw. den ganzen Platz kontextualisieren. Wenn ich durch die Straßen Wiens gehe, die Stadt, in der ich geboren und aufgewachsen bin, denke ich mir: Für mehr hat es nicht gereicht? Das steht für mich im Widerspruch zum Gedenkperformatismus.
Was meinen Sie mit „Gedenkperformatismus“?
Das JöH-Mitglied Julius Walch hat den November im Noodnik [Zeitschrift der JöH, Anm. d. Red.] als Gedenksaison beschrieben. Ganz Österreich zeigt sich am 9. November, wenn an die Reichprogromnacht erinnert wird, sehr, sehr betroffen. Es gibt große Veranstaltungen, der Bundeskanzler kommt und sagt „Nie wieder!“, der Präsident kommt und sagt „Nie wieder!“, und manchmal auch der Bürgermeister. Dann ist der 9. November vorbei und es geht zur Tagesordnung über. Aber für uns nicht. Für uns ist immer 9. November. Wir haben nie eine Pause davon. Wir fühlen uns nicht ernstgenommen, wenn es dann etwa trotzdem wieder eine Koalition mit der FPÖ gibt.
Anders war es zum Beispiel bei einem Gedenken zum 9. November, bei der ehemaligen Synagoge vom 20. Bezirk. Das war für mich persönlich wunderschön, weil ich in dem Haus aufgewachsen bin. Wir waren nicht viele Leute, vielleicht 50 oder weniger. Der Chor der jüdischen Gemeinde war da, es wurden Reden gehalten – ein gemeinsames Erinnern ohne viel Trara. Es war eine sehr intime, souveräne Gedenkveranstaltung, die mir für immer im Gedächtnis bleiben wird.
Den Organisator:innen ging es nicht um einen politischen Akt, sondern darum zu gedenken. Der Anlass – das Gedenken an die Shoah und die zerstörte Synagoge – war zwar etwas Negatives, aber trotzdem ging es vor allem auch darum wertzuschätzen, dass es uns noch gibt. Und das hat man auch gespürt.
Können Sie noch weitere Beispiele geben, wie aus Ihrer Sicht ein gelungener Umgang mit der Erinnerung an jüdisches Leben in Wien aussehen könnte?
Es wäre schön, wenn nicht nur im traurigen, negativen Kontext der Shoah an Jüdinnen und Juden gedacht wird, sondern dass auch aktives jüdisches Leben sichtbar wird: Wir sind hier, wir florieren, wir wachsen!
Es ist auch wichtig zu erwähnen, dass Wien vor der Shoah und dem 2. Weltkrieg außerdem eine blühende jüdische Gemeinde hatte!
Das waren 200.000 Jüdinnen und Juden!
Genau! Das jüdische Leben in Österreich war sehr präsent! Auch wir uns heute Wien anschauen – abgesehen davon, dass wir jetzt knapp 10.000 Menschen sind – die jüdische Wiener Kultur der Stadt ist spürbar!
Nach wem würden Sie gerne eine Straße benennen?
Ich, die im Hashomer Hatzair [einer zionistischen Jugendorganisation nach dem Modell der Pfadfinder, Anm. d. Red.] war, würde mir wünschen, dass es einen Morderchai Anielewicz -Platz gibt. Er war ein Aktivist des Hashomer Hatzair und hat den Warschauer Ghetto-Aufstand angeführt. Das wäre ein Traum für mich!
Ja, das wäre genial! Es gibt auch unglaublich viele tolle Frauen wie zum Beispiel Rózia Robota, eine Widerstandskämpferin, oder Hannah Szenes. Oder zum Beispiel haben junge jüdische Frauen wie Irma Schwager im Nationalsozialismus „Mädelsarbeit“ betrieben. Ihre Hauptaufgabe war, deutsche Soldaten von der Sinnlosigkeit des Kriegs zu überzeugen. Sie haben sich mit Nazis angefreundet, um sie vom Antifaschismus zu überzeugen, eine unglaublich gefährliche Arbeit! Diese Frauen würden sich niemals als Heldinnen bezeichnen oder als Kämpferinnen. Aber sie waren es. Diesen Frauen gebühren ein Raum und eine Ehrung!
Frauen bekommen aus feministischer Perspektive ohnehin nicht genug Raum.
Abgesehen von zwei Frauen - Maria Theresia und Kaiserin Elisabeth – ist fast jedes Denkmal in Wien – Männern gewidmet!
Deshalb finden wir die Aktion von unbekannten jüdischen Aktivist*innen super. Sie haben in der Nacht auf den 9. November 2021 Straßennamen mit Namen von Widerstandskämpfer*innen und Menschen, die aktiv gegen Antisemitismus aufgestanden sind und gegen Faschismus gekämpft haben, überklebt. Die Hälfte der Vorschläge waren Frauennamen! Und der Luegerplatz wurde in „Platz des antifaschistischen Widerstands“ umbenannt. Das war ein starkes Zeichen!
Jetzt sind wir wieder bei Denkmälern angekommen. Wie finden Sie die derzeitige Intervention am Lueger-Denkmal?
Die „Schande“-Beschmierung auf dem Lueger-Denkmal finde ich richtig toll.
Ja, sie funktioniert auch gut! Die meisten Leute haben das Denkmal ohne das Graffiti nicht wahrgenommen. Die Beschmierungen rütteln das auf. Sie führen dazu, dass Leute stehen bleiben und anfangen, nachzudenken. Sie brechen das heroische, ehrende Bild. Es ist noch immer nicht genug, aber eine gute Zwischenlösung!
Was erhoffen Sie von der angekündigten „künstlerischen Kontextualisierung“ des Denkmals?
Ich bin nicht grundsätzlich gegen künstlerische Kontextualisierungen. Ich finde es spannend, kreativ zu sein und der Kunst ihren freien Lauf zu lassen. Aber beim Lueger-Denkmal wird ein Antisemit in einer überdimensionalen, heldenhaften und überpatriarchalen Art geehrt. Da habe ich Bedenken, wenn es um die Worte künstlerischen Kontextualisierung geht, um mit der Wortwahl der Stadträtin zu sprechen. Denn was ist eine Kontextualisierung? Das haben wir doch jetzt schon. Das kleine Schild neben dem Denkmal, das ungefähr so hoch ist wie mein Unterarm. Und die neue künstlerische Übergangskontextualisierung von Petritsch und Six ist nur noch mal mehr Luegerehrung am Luegerplatz. Das Wort Kontextualisierung hat so einen großen Spielraum in die eine Richtung, in die andere aber nicht. Das würde dann eher Weggestaltung oder Dekonstruktion heißen. Eine Kontextualisierung oder Umgestaltung wäre hingegen eine Schieflage oder dass man Lueger einen Hut aufsetzt. Und ich glaube damit ist es extrem schwierig, das Denkmal zu „entehren“.
Historikerin Heidemarie Uhl im Interview über das Lueger-Denkmal.
Historiker Oliver Rathkolb im Interview über das Lueger-Denkmal
Historiker Dirk Rupnow im Interview über das Lueger-Denkmal
Andreas Nierhaus: Christlichsozialer Personenkult im Roten Wien. Das Lueger-Denkmal von Josef Müllner
Andreas Nierhaus: Mischwesen, Helden, Machtmenschen. Der Bildhauer Josef Müllner
Werner Schwarz: Zur Bilanz Karl Luegers. Ein Interview. Teil 1 & Teil 2.
Elisabeth Heimann: Wortgewalt und Bildermacht. 175. Geburtstag von Karl Lueger
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Das Denkmal ist ein Ärgernis, es sollte gerade deswegen stehen bleiben, aber der Name des Platzes muss geändert werden: wer will schon unter dieser Adresse wohnen?