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28.3.2021

Ilse Helbichs Wien der Zwischenkriegszeit – Teil 11

Ratschenbuben

In dem Buch „Vineta“ erinnert sich die Schriftstellerin Ilse Helbich an ihre Kindheit in den 1920er und 1930er Jahren. Ergänzend dazu hat sie diesen neuen Text für das Wien Museum Magazin geschrieben: Über die Ratschenbuben zu Ostern.

Die Karwoche über sind Schulferien, es sind lange, warme Frühlingstage, und die Kinder dürfen endlich wieder in ihren alten Strickjacken herumlaufen. Von Gründonnerstag an bleiben alle Kirchenglocken stumm, denn auch sie trauern über Golgatha – das ist ein schöner Name und voll süßen Schmerzes.

Und von da an gibt es die Ratschenbuben. Der kleine Trupp kommt auch zu ihnen, im Garten schwingen die vier oder fünf Buben heftig die Ratschen und singen dazu mit heiserer Bubenstimme:

 

»Wir ratschen, wir ratschen den Englischen Gruß, den jeder katholische Christ beten muss. Fallt’s nieder, fallt’s nieder auf enkere Knie, bet’s a Vaterunser und drei Avemarie.«

Wenn so die Aufgabe erfüllt ist, setzen sich die Buben um den weißen Gartentisch und rasten und warten; sie wissen, dass ihnen jetzt die Rosa dicke Wurstbrote bringt, die sie in großen Bissen hinunterschlingen, ihre Ratschen haben sie derweil gegen den Zaun gelehnt.

Sie schaut den Ratschenbuben zu; obwohl das gewöhnliche Buben sind, Sieveringer Hauerkinder, haben sie jetzt durch ihr Amt eine besondere Aura, ihre Ratschen ebenfalls. Das braune Ratschenbrett ist so groß wie eine kleine Tischplatte, die Stange daran rund und lang wie ein dick geratener Besenstiel, und von jeder Ratsche hängen violette und grüne Seidenbänder lang herunter, Buchssträußchen sind an der Spitze angebracht.

Während die Gäste ihre Brote mampfen und in großen Schlucken Limonade trinken, dürfen die Hauskinder das Ratschen probieren – selbst sie, obwohl sie doch ein Mädchen ist!

Sie nimmt eine der Ratschen, die ist sehr schwer in ihren Händen, und als sie sie nun zu schwingen versucht, reißt sie die Fliehkraft fast um. Aber dann hat sie die Bewegung heraus, jetzt knattert ihre Ratsche dahin, wenn auch nicht im richtigen Takt, sagen die Buben. Sie schwingt die Ratsche und ist von dieser Aufgabe wie erhoben, da rufen die Buben, sie solle leiser ratschen und langsamer, weil sonst die Leute in den Nachbarhäusern konfus würden.

Dann kommen die Ratschenbuben nicht mehr, weil jetzt Ostersonntag ist; dafür läuten an diesem hohen Feiertag wieder die Glocken, sie läuten laut und lang, und sie meint, die Bassstimme der Pummerin vom Stephansdom aus allen anderen Stimmen herauszuhören.

Der Beitrag ist die gekürzte Fassung eines Textes aus dem Buch „Vineta“ von Ilse Helbich, das 2013 im Literaturverlag Droschl erschienen ist. Wir danken der Autorin und dem Verlag für die Publikationsgenehmigung. Diese Texte daraus sind bereits erschienen:
Eislaufplatz
Gassenbuben
Waschtag
Eismann
Spucknapf, Zigarrenrauch
Stadtmusiken
Der Laternenanzünder
Die Tramway
Tramway II
Tramway III