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Eva Tropper, 8.9.2023

Geschichte des institutionellen Ansichtskarten-Sammelns

Wie die Ansichtskarte ins Museum kam

Vereine waren unter den ersten Institutionen, die Ansichtskarten als wertvolles Sammlerobjekt entdeckten. Ambitioniert vernetzten sie sich global und bereiteten nicht zuletzt den Weg für das professionelle Sammeln von Archiven und Museen. Konflikte und Anfeindungen „weiblichen Sammelns“ blieben jedoch nicht aus. 

Vereinsgründungen im Zusammenhang mit dem Sammeln von Ansichtskarten sind um 1900 ein transnationales, dabei vor allem europäisches und US-amerikanisches Phänomen. So entstehen auch in Wien entsprechende Vereine: Die Internationale Association der Ansichtskartensammler publiziert die erste Nummer ihrer Zeitschrift, die Illustrirte Postkarte im Jahr 1897; von einem Sammelverband Austria, der nur kurz bestanden haben dürfte, findet sich die Ausgabe einer Zeitschrift von 1899. Dass Vereine wie diese in der Regel von kurzer Lebensdauer waren, deckt sich mit der Entwicklung in anderen Ländern. Nur der Weltverband Kosmopolit, gegründet 1897 in Nürnberg, sollte den Ersten Weltkrieg überdauern.

Bezeichnend für diese Vereine ist sowohl ihre lokale Verortung als auch ihre globale Ambition. Einerseits organisierten sie sich in Ortsgruppen. So betrieb die Internationale Association der Ansichtskartensammler etwa ein Vereinslokal in der Wiener Maria-Theresien-Straße, das als lokale Anlaufstelle fungierte. In Wien wohnende oder durchreisende Mitglieder wurden dazu eingeladen, vor Ort das „überaus reichhaltige Sammelmaterial, welches die Association an unbeschriebenen und beschriebenen Ansichtskarten aller Länder besitzt“ zu besichtigen und fallweise anzukaufen. Derzeit, so heißt es im Juli 1898, seien zirka 25.000 Stück verfügbar. Andererseits vernetzten sich die Vereinsmitglieder auf postalischem Weg: Über die Publikation von Adressen in den Zeitschriften selbst, aber auch über „Tauschadressbücher“ wurde die Idee verfolgt, international in Austausch zu treten und einander gegenseitig Ansichtskarten zuzusenden.

Dabei ging es durchaus nicht nur darum, die eigene Sammlung um besondere Exemplare zu erweitern. Vielmehr wurde im Senden und Empfangen von Ansichtskarten auch ein globales Vernetzt- und Verbundensein imaginiert. Eigene Grußformeln, etwa „Gutferngruss“ belegen diese Vorstellungen ebenso wie die gewählten Vereinsnamen – Kosmopolit oder Globus. Die Ansichtskarte wurde als ein Medium verstanden, das in der Lage sei, Kontakt mit allen Regionen der Erde herzustellen. Diese Zuschreibungen waren durchwegs eurozentrisch und kolonial geprägt. So wurde die Ansichtskarte als eine ‚Überbringerin von Kultur‘ verstanden, die ausgehend von Europa nach und nach ‚Fortschritt‘ und ‚Zivilisation‘ in alle Länder bringen würde.

Die Vereinszeitschriften dienten darüber hinaus dazu, sich über Sinn und Zweck der gemeinsamen Tätigkeit auszutauschen. Aufsätze zum Thema „Wie sollen wir sammeln?“ gehörten zu einem der wichtigsten Genres. Dabei wurden durchaus unterschiedliche Standpunkte vertreten. Für die einen spielte die Korrespondenzfunktion des Mediums die zentrale Rolle. Sie interessierten sich vor allem für beschriebene und versendete Karten, wobei entweder der Kontakt mit Tauschpartner:innen, die biografische Relevanz der Ansichtskarte als Erinnerungsträger oder ihre philatelistische Dimension – inklusive der geklebten Briefmarken und Stempel – betont wurde. Gegen dieses „Gebraucht-Sammeln“ bezogen die Anhänger:innen des „Ungebraucht-Sammelns“ Stellung. Sie grenzten sich von Tauschbeziehungen ab und sammelten bevorzugt nicht versendete Karten – wofür etwa auch Kartenmaterial im Paket verschickt wurde. Insbesondere der einflussreiche deutsche Centralverband für Ansichtskartensammler (Nordhausen), in dem auch zahlreiche Sammelnde aus Österreich-Ungarn organisiert waren, verfolgte einen solchen Ansatz. Man bemühte sich um eine wissenschaftliche Rahmung des eigenen Tuns. Die Ansichtskarte wurde als ein neuartiges visuelles Wissensobjekt angesehen, das insbesondere geografische Kenntnisse befördere. Ihre kommunikativen und postalischen Aspekte wurden dabei aber tendenziell abgewertet.

Dieser Kampf um Deutungshoheit in den Sammelzeitschriften kann auch als Teil der Herausbildung der Kategorie des Dokumentarischen im Zusammenhang mit Bildern verstanden werden. Die Ambivalenz der Ansichtskarte, dokumentierende Qualitäten zu besitzen, zugleich aber auch Erinnerungsträger, Korrespondenzmittel oder affektiver Gegenstand zu sein, trieb die Debatten über das „richtige Sammeln“ an. Solche Debatten wurden zum Teil auch von geschlechtlichen Zuschreibungen begleitet. Dazu gehörte die Abwertung eines angeblich „weiblichen Sammelns“ im Sinn eines gefühlsbetonten Zugangs zur Ansichtskarte, bei dem die Karten ohne Anspruch und Systematik bloß angehäuft würden. Diese misogynen Diskurse sind durchaus als Indikator sich wandelnder Rollenbilder zu verstehen. Denn Frauen begannen – auch in den Vereinen – zusehends als selbstbewusste Akteurinnen aufzutreten. Eine männlich dominierte ‚Elite‘ des Sammelns reklamierte dagegen für sich, auf rationale und systematische Art und Weise zu sammeln und damit auch belehrend auf die breite Masse der Sammelnden einzuwirken. Nicht zuletzt über Publikationswesen, Aufbau einer Community, Debatten und Polemiken wurden Strategien verfolgt, das Sammeln als wissenschaftliche Tätigkeit zu profilieren.

Dieses Setting popularisierter Wissenschaft changierte zwischen privaten und institutionellen Kontexten. Die organisierten Postkartensammler:innen sind nicht als abgeschottete Szene zu verstehen – vielmehr gab es zahlreiche Schnittmengen mit den akademischen und musealen Milieus der Zeit. So findet sich in den Mitgliedslisten des Centralverbands für Ansichtskartensammler, in dem übrigens unter mehr als 1000 Namen auch jemand wie der Wiener Verleger Carl Ledermann auftaucht, zugleich etwa der Direktor des Steiermärkischen Landesarchivs in Graz, Josef von Zahn. Unter seiner Leitung kamen in den Jahren 1901–1903 zahlreiche topografische Ansichtskarten in das Archiv. Ähnliches gilt für den Kustos am Stift St. Florian, Josef Ackerl, der bis 1917 eine Sammlung von nicht weniger als 52.815 Ansichtskarten aufbaute – nicht zuletzt unter Rückgriff auf die postalischen Vertriebssysteme des Centralverbands, wo auch er Mitglied war. Sichtbar wird also, wie durchlässig die interessierten Milieus um 1900 zu denken sind: Die Organisationsformen in Vereinen und der Aufbau institutioneller Sammlungen griffen zum Teil unmittelbar ineinander.

Während die Sammelvereine in der Regel nach wenigen Jahren ihre – ehrenamtlich geführten – Tätigkeiten einstellten und wieder verschwanden, wurden die in den öffentlichen Gedächtnisinstitutionen angelegten Sammlungen zur Grundlage noch heute bestehender Bestände. Dass Ansichtskarten um 1900 überhaupt als ‚archiv- und museumswürdig‘ angesehen wurden, ist eng mit den oben genannten Debatten verknüpft: Die Basis dafür war ein Bildbegriff, der Ansichtskarten sowohl von der Philatelie als auch von einem biografisch motivierten Zugriff abgrenzte und sie der Fotografie beziehungsweise den dokumentarischen Bildern zuordnete. In der Tat blieb der museale Umgang mit Ansichtskarten über die ganze Länge des 20. Jahrhunderts von einer Vernachlässigung ihrer Korrespondenz-Funktion und Provenienz geprägt – auch, als ab den 1960er Jahren zahlreiche Konvolute gelaufener Ansichtskarten übernommen wurden. Erst in allerletzter Zeit sind solche Aspekte – etwa in Projekten des Graz Museums und des Wien Museums – in den Fokus gerückt.

Literatur und Quellen:

Die illustrirte Postkarte. Offizielles Organ der „Internationalen Association der Ansichtskartensammler“, Heft 7, 1898, S. 3.

Bjarne Rogan: Stamps and Postcards – Science or Play? A Longitudinal Study of a Gendered Collecting Field, in: Ethnologia Europeana. Journal of European Ethnology 31/1 (2001), S. 37–52.

„Mit freundlichen Grüßen ...“. Aus der Ansichtskartensammlung des Stiftes St. Florian (Begleitpublikation zur gleichnamigen Ausstellung von Juli bis Oktober 2008), Linz 2008.

Felix Axster: Koloniales Spektakel in 9 x 14. Bildpostkarten im Deutschen Kaiserreich (Post_koloniale Medienwissenschaft 2), Bielefeld 2014, S. 167ff.

Renate Wöhrer (Hg.): Wie Bilder Dokumente wurden. Zur Genealogie dokumentarischer Darstellungspraktiken, Berlin 2015.

Eva Tropper: Raum an/ordnen. Postkartensammeln als Raumpraxis um 1900, phil. Diss., Graz 2017.

Transkriptionsprojekt des Wien Museums und der Wienbibliothek im Rathaus, Ansichtskarten-Grüße aus dem Wien Museum – Crowdsourcing Wien

Online-Sammlung des Graz Museums, https://www.grazmuseum.at/digital/postkartensammlung-online/

Eva Tropper, Studium der Geschichte und Romanistik, seit 2022 Kuratorin für Fotografie an den Multimedialen Sammlungen des Universalmuseum Joanneum, seit 2018 Teil des Leitungsteams der Museumsakademie Joanneum. Zahlreiche Publikationen u.a. zur Geschichte der Postkarte sowie zu fotografischen Sammel- und Albumpraktiken. 

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