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Christine Koblitz, 21.9.2023

Die neue Ansichtskarte auf Instagram & Co

Urlaubsgrüße in Echtzeit

Wer ist gerade wo unterwegs? Wie sieht es dort aus? Vor mehr als 130 Jahren veränderte die Ansichtskarte die Art der Kommunikation, heute vermittelt das eigene Foto auf Social Media Authentizität. Dabei wird genauso mit Klischees gespielt wie auf klassischen Postkarten.

„Waren vor Instagram auch schon alle ständig auf Urlaub?“, fragte jemand ebendort. Ein gut gepflegter Social-Media-Account gilt als virtuelles Statussymbol. Ankommen, Foto machen und posten heißt das neue Ritual für Ausflüge aller Art. In erster Linie ist es praktisch, weil einfach mit einem Gerät zu erledigen, das uns überall begleitet – das Smartphone. 80 Prozent der Menschen schicken Urlaubsgrüße via Messenger-Dienst, dennoch versendet nach einer Umfrage in Deutschland noch jede:r zweite echte Ansichtskarten. Und diese waren für die elektronischen Kurznachrichten im Jahr 1992 ein Vorbild: Wie Friedhelm Hillebrand, einer der Erfinder von SMS, in einem Interview erzählte, orientierte sich das Limit von 160 Zeichen an der durchschnittlichen Länge einer Postkarte. Heute gibt es kaum mehr Beschränkungen bei Format oder Datenmengen.

Instagram-Tourismus

„Während wir all diese Touristen-Hotspots abklappern, machen wir nicht bloß ein Foto, sondern 123 fast identische, damit wir auch ja das eine perfekte Bild bekommen“, schreibt Melissa Mason in einem Beitrag. Die Instagramability ist längst zum Kriterium für den Besuch von Orten geworden. Laut der Umfrage von Bitkom zum Reiseverhalten im Sommer 2023 wählen sechs von zehn der unter 33-Jährigen ihren Urlaubsort aufgrund der Eindrücke auf Instagram. Ebenso wichtig ist ihnen, selbst ein Foto von der Reise zu posten #postcardsfromtheworld. Was wiederum die #wanderlust ihrer Follower ankurbelt. Während manche Städte über daraus resultierenden Overtourism klagen, einen nicht mehr bewältigbaren Besucherstrom, nützen andere den Trend und bieten eigene Foto-Touren an.

Die Hashtags #Wienliebe und der vom Wien-Tourismus ins Leben gerufenen #ViennaNow vermitteln einen ansichtskartenhaften Eindruck vom imperialen Wien, kleinen Gassen und Innenstadthöfen. Menschen und Fahrzeuge fehlen oder dienen der Staffage. Fiaker sind genauso beliebt wie um 1900, dazugekommen sind die roten Straßenbahnen. Das liegt nicht nur an den Touristen:innen, sondern auch an einer Reihe engagierter lokaler Stadtfotograf:innen, die laufend ihre Bilder teilen und von Wien-spezifischen Accounts gefeatured werden.

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Instagram bestätigt Stellenwert und (Un-)Sichtbarkeit von Orten

Die Tendenz Zentrum vor Stadtrand lässt sich in vielen Städten beobachten. Die beiden Soziologen John D. Boy und Justus Uitermark haben dieses Phänomen bei der Analyse von 1,3 Millionen Instagram-Postings aus Amsterdam anhand der Geo-Location-Tags nachgewiesen. Bei der Befragung unterschiedlicher Nutzergruppen, zeigte sich, dass ihnen die gepflegte Innenstadt einfach ansprechender erschien, um sie zu teilen: „People just want to see nice photos“.

Je schöner, desto erfolgreicher sind die Beiträge. Klare Architektur, kulturelle Highlights ohne ablenkende Störelemente, der Himmel in strahlendem Blau oder zartem Rosa-Orange – ein bisschen Kitsch geht immer. Wichtig ist die Wiedererkennbarkeit – was gefällt, wird möglichst gleich nachfotografiert. Markierte Photo-Spots werden gerne genutzt, sind in Wien allerdings noch die Ausnahme. Wie bei den Ansichtskarten vom Stephansdom, haben sich auf Instagram bestimmte Perspektiven etabliert. Selten werden die Gebäude als Gesamtes eingefangen, was nicht nur mit den technischen Limits herkömmlicher Smartphone-Kameras zusammenhängt. Vielmehr soll mittels Visual Storytelling eine Geschichte erzählt werden, manchmal auch die eigene Person als Selfie mitinszeniert werden. Die Rosen im Volksgarten bilden in Kombination mit den beiden Museen oder dem Theseustempel eine perfekte Symbiose aus Lifestyle und Großstadtflair mit Herzchen-Garantie. Ein Star ist weiterhin das Riesenrad. Der Himmel bietet für seine markante Silhouette einen idealen, weil kontrastreichen Hintergrund bei Tag und Nacht. Das Gleiche gilt für die Karlskirche: frei stehend und mit dem Teich davor ist sie – je nach Jahreszeit mit Palmen oder Weihnachtsmarkt – auch für durchschnittlich begabte Fotograf:innen ein dankbares Motiv.

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Urban Exploring: Wien von oben

Die Stadtpanoramen der Urban Explorer spielen auf ganz besondere Art mit der Ästhetik von Postkarten: fotografisch faszinierend und kitschig zugleich. Spätnachts oder frühmorgens sind sie hoch oben unterwegs, um die (Kirch-)Türme und Kuppeln über der Stadt mit spektakulärer Lichtstimmung einzufangen. Diese wird mit Photoshop zusätzlich intensiviert und damit erst recht zum Hingucker. Besonders perfektioniert hat diese Kunst Fabian @fabolus_vienna, mit dem das Wien Museum 2017 gemeinsam die erste Instagram-Challenge #wvo17 zur Ausstellung „Wien von oben“ entwickelt hat. Die Bilder überzeugen auch analog: Der Berliner Verlag Pickmotion nützt die Beliebtheit der angesagten Wiener Explorer und hat eine Serie von Grußkarten im Polaroid-Format aufgelegt, die äußerst erfolgreich über die großen Souvenir-Shops vertrieben wird.

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Die Ansichtskarte als Vorbild

Nicht alle haben eine Hightech-Kamera-Ausrüstung oder ausgeprägtes fotografisches Talent. Trotzdem wirkt Instagram durch seine Bildergalerie wie ein endloser Postkartenständer. Das Alltägliche wird so ästhetisiert, dass es nie gewöhnlich aussieht. Seinen Erfolg verdankt die Fotosharing-App den bereits eingebauten Filtern, mit denen sich Postings schnell aufhübschen lassen. Damit unterschied sie sich beim Start im Oktober 2010 von ähnlichen Anbietern. Seither wird die direkte Bildbearbeitung auf dem Smartphone von Jahr zu Jahr einfacher. Heute lassen sich dank KI-Unterstützung einfache Retuschen wie z. B. das Entfernen von Werbeaufschriften oder die Veränderung von Hintergründen oder Entzerren mit einem Fingerwischen durchführen. Layouts, die wie eine Mehrbildpostkarte das Arrangement von verschiedenen Aufnahmen in einem Posting erlauben, haben sich nicht durchgesetzt. Kleinteilig und nicht auf den ersten Blick erfassbar, passen sie nicht zur flüchtigen Aufmerksamkeit auf Instagram. Stattdessen geht der Trend – durch TikTok und günstige Datenpakete zusätzlich verstärkt – in Richtung Video. Die elektronische Postkarte der Zukunft besteht aus einer animierten Bildergalerie und spricht mit Musik gleich mehrere Sinne an.
 

Happy Postcrossing!

Trotz des Aufstiegs von Social Media erleben Ansichtskarten ein Revival, angetrieben durch die Sehnsucht nach persönlichen und auch haptischen Verbindungen in einer zunehmend digitalen Welt. Weil er selbst gerne Post bekommt, gründete der Portugiese Paulo Magalhães 2005 die Plattform Postcrossing.com. Die Idee dahinter: Wer einer fremden Person eine Karte schreibt, erhält wiederum von jemand anderem eine. Anschließend wird die Bildseite mit einer ID hochgeladen und damit auf der Plattform sichtbar. Zurückgelegte Kilometer und Zustelldauer lassen sich genauso ablesen wie die unterschiedlichen visuellen Vorlieben. Jedes Jahr werden so Millionen reale Postkarten verschickt. Auch in Wien gibt es eine rege Community, die sich regelmäßig bei selbst organisierten Meetups trifft und zu diesen Anlässen eigene Karten auflegt.

Das digitale Postkartenstudio

Wer auf die Bequemlichkeit digitaler Kommunikation nicht verzichten möchte, kann spezielle Apps nützen, die sich auf das Erstellen und Versenden von Ansichtskarten spezialisiert haben. Diese Applikationen bieten oft eine Vielzahl von Designs und personalisierbaren Optionen. Sie funktionieren entweder digital zu analog, wie z. B. das Postkartenstudio der österreichischen Post, bei dem ein Urlaubsfoto als gedruckte Karte ankommt, oder komplett digital. Diese Variante eignet sich sogar für Menschen ohne Internetanschluss (dann über SIM-Karte): ein digitaler Bilderrahmen mit Sharing-Funktion. Mit der App Frameo kann man direkt auf die eigenen Fotos zugreifen, eine Nachricht hinzufügen und einen Adressaten wählen. Das Bild erscheint dann automatisch im gewünschten Bilderrahmen. Ist das Bild einmal verschickt, hat der Absender keinen Zugriff mehr darauf, genau wie bei realen Ansichtskarten.

Die Technologie hat sich verändert, der Austausch beschleunigt, der soziale Druck erhöht. Die Kommunikation erfolgt jetzt in Echtzeit – in privaten Direktnachrichten über WhatsApp & Co oder gleich an die ganze Welt über den jeweiligen Social-Media-Feed. Briefmarken und physische Adressen scheinen obsolet geworden. Doch das Prinzip von kurzen Bild-Text-Nachrichten setzt sich digital fort. Egal, ob mit oder ohne Selfie, bleibt die Botschaft für den demonstrativen Anwesenheitsbeleg konstant: Schaut her, es ist so schön!

Quellen und Literatur:

John D Boy, Justus Uitermark: Reassembling the City through Instagram.
In: Transcations (Institute of British Geographers), 2017.
https://www.researchgate.net/publication/317401112_Reassembling_the_city_through_Instagram

John D Boy, Justus Uitermark: Lifestyle enclaves in the Instagram city?
In: Social Media+ Society Vol. 6 (3), 2020
https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/2056305120940698

Alexander Decker: Social-Media-Zyklus. Schritt für Schritt zum systematischen Social-Media-Management im Unternehmen, Wiesbaden 2022.

Hajo Diekmannshenke: Text-Bild-Botschaften. Ansichtskarten und ihre elektronischen Verwandten. In: Ansichten zur Ansichtskarte. Textlinguistik, Korpuspragmatik und Kulturanalyse, Bielefeld 2023.
https://www.transcript-open.de/doi/10.14361/9783839466346-005#read-container

Melissa Mason: Wie uns Social Media den Urlaub versaut,
aufgerufen am 30.8.2023
https://www.refinery29.com/de-de/social-media-instagram-tiktok-urlaub

Anne Feldkamp: Wo sich Wien auf Instagram von seinen schrägen Seiten zeigt.
In: Der Standard vom 19.6.2023
https://www.derstandard.at/story/3000000174238/wo-sich-wien-auf-instagram-von-seinen-schraegen-seiten-zeigt

Felix Hoffmann, Kathrin Schönegg: Send me an Image.
From Postcards to Social Media. Ausstellungskatalog der C/O Berlin Foundation, Berlin 2021.

Hanno Rautenberg: Wir sind die Stadt! Urbanes Leben in der Digitalmoderne, Berlin 2013.

Martin Schreiber: Die Stadt im Zeitalter der Vernetzten Kommunikation.
In: Clemens Zimmermann (Hrsg): Stadt und Medien. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Wien 2012.

Bitkom-Umfrage: Sommerurlaub: Am liebsten wird per Telefon und Messenger gegrüßt, aufgerufen am 30.8.2023
https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Sommerurlaub-Am-liebsten-per-Telefon-Messenger-gruessen

Christine Koblitz ist Engagement Managerin im Wien Museum und beschäftigt sich mit Digital Culture & Instagram. Sie kuratierte die Ausstellung „Takeover – Streetart & Skateboarding“ (2019) und entwickelt spielerische Formate wie das AR Escape Game für das Uhrenmuseum (geplanter Release: Herbst 2024).

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